Jeden Tag, zu jeder Stunde, mit jeden Nachrichten hören wir von Leuten, die gestorben sind. Bei Flugzeugabstürzen, Attentaten, Zugunglücken oder Autounfällen- und das sind nur die plötzlichen, lauten Tode. Tausende und Abertausende sterben still, ohne großen öffentlichen Raum, in den Krankenhäusern oder den Wohnungen und Straßen, die auf der ganzen Welt verteilt sind.
Und obwohl wir diese Nachrichten beim Broteschmieren, Kaffeetrinken, Autofahren und Zeitungslesen registrieren, und irgendwo auch wissen, dass es „echte“ Menschen sind, die gestorben sind, die genau wie Du und ich ihr Leben gelebt haben, ihrer Arbeit nachgegangen sind, ihre Freunde und Feinde, ihre Freuden und Sorgen hatten, schaffen wir es in den allermeisten Fällen nicht, einen wirklichen Bezug zu ihnen herzustellen und die Toten gehen in der Informationsflut eines ganz normalen Tages unter.
Denn die Menschen sind uns fremd, wir kennen sie nicht, haben sie nicht erlebt und keine emotionale Bindung zu ihnen aufgebaut. Deswegen bleiben sie abstrakte Zahlen und Nachrichten.
Ganz anders sieht die Situation aus, wenn einer aus Deiner unmittelbaren Umgebung stirbt.
Es ist so seltsam:
Obwohl jeder von uns weiß, dass er eines Tages sterben wird, obwohl es niemanden gibt, der jemals überlebt hat, alle irgendwann gestorben sind und obwohl uns die Tatsache unserer eigenen Sterblichkeit bewusst ist, sind wir immer wieder aufs Neue schockiert und aus der Bahn geworfen, wenn es wirklich geschieht.
Die Buddhisten machen sich viele Gedanken zum Thema „Tod“, denn das Bewußtmachen der eigenen Endlichkeit lässt andere Inhalte und Zielsetzungen in den Mittelpunkt des Lebens rücken.
In meinen Führungen zum Thema „Einführung in den Buddhismus“ frage ich die jüngeren Schulkinder (2. Klasse etwa) immer ganz offen, wann sie denn glauben zu sterben. (Denn dass sie sterben werden, ist schon diesen Allerjüngsten erstaunlich bewusst.)
Die Kinder rechnen dann meistens ganz genau aus, wann ihr Todeszeitpunkt eintrifft. „In 98 Jahren!“ rufen sie mir fröhlich entgegen. Die Schüler wissen, dass sie sterben werden, aber sie glauben, das es nicht heute, nicht morgen sein wird, sondern erst, wenn sie richtig alt sind, so mit 100 Jahren.
An dieser Sichtweise ändert sich häufig während des gesamten Lebens nichts. Auch ich weiß ganz sicher, dass ich sterben werde, aber auch ich gehe keinesfalls davon aus, dass ich heute, morgen oder gar übermorgen sterbe, sondern erst wenn ich ganz alt bin, nämlich mit 100 Jahren.
Denke ich jedoch nur einen Moment darüber nach, wen ich alles kenne, der schon sehr viel jünger als mit 100 Jahren gestorben ist, beginnt meine Rechnung ziemlich zu wackeln. Es sind nämlich ziemlich viele…. Dieter (35), Martin (18), Marion (64), Laura (12) usw. usw. …
Der Tod ist ein großes Rätsel. Wir wissen nicht, was mit uns geschieht, wenn wir sterben. Die vielen Kulturen der Menschen haben sich die unterschiedlichsten Konzepte zurechtgelegt, um mit diesem Phänomen umzugehen. Manche Menschen glauben, dass man nach dem Tod eine Weile in einer Art Paradies lebt (wo es genauso ist, wie hier auf der Erde) um danach in der selben Familie wiedergeboren zu werden. Andere glauben, dass sich die Verstorbenen in böse Geister verwandeln, die aus Wut über ihren Tod den Lebenden Schaden zufügen, wieder andere gehen davon aus, im Himmel ewigen Frieden zu finden, meine Großmutter meinte, es passiere gar nichts, außer dass man tot wäre.
Die Konzepte von Jenseitsvorstellungen helfen uns, das Unbegreifliche zu verstehen, Trost, Halt, Sinn und Ordnung zu finden, um sich nicht in der Orientierungslosigkeit und der Trauer zu verlieren.
In allen Kulturen gibt es Trauerrituale, die zum einen dazu dienen, diese Übergänge persönlich und gesellschaftlich erlebbar zu machen und auch die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Formen von Trauerritualen sind dabei vollkommen unterschiedlich. Manche tragen weiß, andere schwarz, manche trauern lautstark, andere sind sehr still. Bei einer Ethnie in der Südsee zum Beispiel, durften sich beim Tod einer wichtigen Person alle männlichen Mitglieder des Stammes 1 Jahr lang nicht ihre Haare und Bärte schneiden. Am Ende der Trauerzeit wurde aus den gesammelten Haaren eine Perücke und ein Bart für eine Skulptur geformt, die die verstorbene Person symbolisierte. Die kollektive äußere und innere Trauer fand ein Ende, man feierte noch ein letztes Mal ein großes Gedenkfest zu Ehren des Verstorbenen, dann war die offizielle Trauerzeit vorüber, man sprach nicht mehr über den Toten und kehrte ins Leben zurück.
So unterschiedlich die äußeren Trauerrituale sind, ist auch die Auffassung vom Wesen des Todes. Nicht für alle Kulturen bedeutet der Tod etwas Trauriges, in Mexiko feiert man am Día de los Muertos (Tag der Toten) ein fröhliches Wiedersehen mit den Toten. So nimmt man dem Tod seinen Stachel und belässt die Verstorbenen als Teil der lebenden Gesellschaft, die nur eben an einem anderen Ort weiterleben, ihre Hinterbliebenen aber regelmäßig besuchen.
Hier in Deutschland wird sehr unterschiedlich mit dem Tod umgegangen. Viele empfinden den Tod immer noch als Tabuthema, über das man nicht sprechen kann/darf/soll. Ich habe im Umgang mit dem Tod folgende Erfahrung gemacht: Es ist sehr gut, sich Zeit zu nehmen, um zu begreifen, was geschehen ist. Es gibt einen berühmten Spruch von Maria Montessori:
“Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war”
In Bezug auf den Tod und das Sterben kann ich diesen Ausspruch nur unterstreichen. Als meine Großmutter starb, ließen wir sie 3 volle Tage zu Hause in ihrem Bett liegen. Wir verhielten uns leise, zündeten Kerzen an und jeder hatte die Gelegenheit, noch einmal in Ruhe mit ihr zu sein, von ihr Abschied zu nehmen, die eine oder andere Rechnung zu begleichen und dabei langsam zu begreifen , dass sie tot ist. Dazu gehörte auch, sie vorsichtig anzufassen.
Es kann für Angehörige sehr wichtig sein, die Toten zu berühren, um wirklich zu begreifen, dass sie gestorben sind. Ich kenne Mütter, die viele Stunden bei ihren toten Kindern saßen, sie wiegten und streichelten, mit ihnen sprachen und für sie beteten, bevor diese weggebracht wurden und sie sie teilweise nie wieder sehen konnten.
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, die Toten nicht zu schnell abzutransportieren und zu begraben, da ihnen die Seelen der Hinterbliebenen sonst nicht so schnell folgen können.
Und eine zweite Sache erscheint mir sehr wichtig: Das Miteinander-Sprechen. Immer wieder darüber sprechen zu können, hilft sehr, den Verlust erst zu begreifen und dann langsam zu überwinden. Reden hilft, aus der Isolation der eigenen Gedanken herauszukommen.
Hier in Deutschland scheinen wir nicht gerne über den Tod zu reden. Manche denken sogar (und das ist ein klassischer Fall von kindlich-magischen Denken), dass man den Tod herbeireden kann, wenn man zuviel über ihn spricht.
Aber in Wirklichkeit bringt einen der Kontakt mit dem Tod das Leben wieder sehr intensiv nahe. Wie in Zeitlupe nimmt man plötzlich um sich herum wahr, was sonst nur so an einem vorbeirast: Die Schönheit der Natur, die Kostbarkeit von Partnerschaft, die Fragilität von Gesundheit, die Vergänglichkeit alles Seins.
Wie bereits erwähnt, beschäftigen sich Buddhisten viel mit dem Tod um die Kostbarkeit des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Sie sagen, 3 Dinge seien über den Tod gewiss:
1. Der Tod ist unausweichlich.
2. Der Todeszeitpunkt ist unbekannt.
3. Im Tod hilft nur die buddhistische Lehre (als Schutz für den Sterbenden).
Ich möchte diese Liste ergänzen:
4. Wenn ein Todesfall eintrifft, ist die Verbindung zu anderen Menschen eine unendlich große Stütze. Rede mit anderen, wenn der Tod neben Dir ist. Ich sah Angehörige, die neben ihren Toten an Freunde simsten. Unmöglich? Von wegen! Das kann gut so sein! Der direkte Kontakt mit den Freunden ist ein sehr starker Halt in einem langen Moment der Bodenlosigkeit. Schließlich können und sollen nicht alle gleichzeitig im Krankenhaus sein- sie sollen da sein und auch weg sein, wenn es zuviel wird. Durch dieses lächerliche Medium Handy werden Menschen spürbar und greifbar. Sie sind in diesem Moment da, sie antworten Dir, sie sind bei Dir, wenn Du sie brauchst. Das ist nicht oberflächlich, das ist kostbar…
5. Habe keine Furcht vor den Toten. Sie sehen nicht anders aus als sonst (es sei denn, sie sind fürchterlich entstellt). Triff Deine Toten, wenn Du es kannst. Es hilft Dir, das Geschehene zu verstehen.
6. Bedanke Dich (innerlich und äußerlich) bei allen, die Dir in diesen seltsamen Stunden beigestanden haben: Ärzte, Schwestern, Freunde, alle, die Dir Raum zu verstehen gaben. Ihr Mitgefühl ist unendlich.
7. Hol Dir Hilfe. Reden und kollektives Erinnern hilft sehr. Es gibt Freunde, das Seelsorgetelefon, und auch religiöse Spezialisten (so nennen wir sie in der Ethnologie) sind in diesen Momenten für Dich da. Sie können Zeremonien für die Verstorbenen durchführen, für ihre Seelen beten oder Dir auch einfach nur zuhören. Dafür sind sie da, das ist ihre Aufgabe.
Der Tod ist ein machtvoller Moment, den man schwer einfach ignorieren kann. Diese alles entblößende, teils grausame und traurige Gelegenheit zwingt einen dazu innezuhalten, über das eigene Leben zu reflektieren und genau zu schauen, was wahr ist und was falsch. Dafür kann man vielleicht irgendwann dankbar sein….
In stillem Gedenken an Fabian