Ich habe die Macht –
… schrie He-Man in den 1980er Jahren, ließ seine Muskeln spielen und fuchtelte mit seinem Schwert in der Luft herum.
„Auch ich habe die Macht!“ rufe ich laut und zücke mein Portemonnaie aus der Tasche. Denn das habe ich wirklich!
Selbst wenn in der Hosentasche allzu oft gähnende Leere herrscht: „Ich habe die Macht!“
Seltsamerweise ist uns viel zu selten bewusst, wie mächtig wir sind…wir verstummen angesichts der schlechten Nachrichten, die aus Fernsehern, Radios, Handys und sozialen Netzwerken auf uns herabquellen.
Wie versteinert blicken wir in den Himmel und fragen uns –zu Recht (!) –aus tiefstem Herzen und voller Verzweiflung: WARUM?
WARUM ist es so, dass noch immer so viele Menschen verhungern? (Unterernährung lässt jährlich 2,9, Millionen Kinder unter 5 Jahren sterben).
WARUM werden 60 Milliarden Tiere jährlich geschlachtet? (davon alleine in Deutschland 750 Millionen).
WARUM leben 27 Millionen Menschen in Sklaverei? (davon unerträglich viele in Kinderarbeit).
Diese hastig gegoogelten Zahlen sind unvorstellbar groß und deswegen auch vollkommen abstrakt. Sehe ich in den Spiegel, erblicke ich nur eine Person. Kommen meine Sprösslinge hinzu, sehe ich vier. Vier zu 2,9 Millionen Verhungerten, und 4 zu 27 Millionen Versklavten. Und füttere ich meine Katze, sehe ich ein Tier. Eins zu 60 Milliarden. Die Verhältnisse sind vollkommen abstrakt.
Gerade diese Abstraktheit lässt uns die Schultern zucken. „Was soll ich denn schon tun?“ „Wo bitte habe ich die Macht?“
Ich habe die Macht, weil ich im Besitz von allem wirklich Nötigen bin: Hirn und Herz (oder Weisheit und Mitgefühl). Und wenn ich diese beiden Faktoren einsetze, kann ich die Welt verändern. Hört sich banal an –ist es auch 🙂
Nehmen wir mein leeres Portemonnaie – wo soll ich da bitte allmächtig sein? Bin ich, denn zum Glück ist hierzulande ein leeres Portemonnaie nicht so existenzvernichtend, wie in Ländern ohne soziale Sicherungssysteme.
Das heißt nicht, dass es ein Zuckerschlecken ist, hier mit wenig Geld ein menschenwürdiges Leben zu führen denn Armut ist immer in Relation zu sehen! Und als Erwachsener sparsam zu leben, ist eine Sache. Aber Kindern aufgrund von finanzieller Not eine altersgerechte Partizipation am sozialen Leben, an Bildung, Gesundheit und Schönheit zu verwehren ist eine gesellschaftliche Schande und für Eltern ein tiefer Schmerz. Armut und Not machen nicht erfinderisch, Not macht krank, alt und lässt einen schneller sterben.
Und: Armut ist eine sehr ernstzunehmende Gefahr für den sozialen Frieden einer Gesellschaft.
Wo also habe ich denn dann die eben verkündete Macht? Ich habe die Macht, indem ich mich nicht mehr vom Konsum als einzig wahre Glücksquelle blenden lasse!
Oft glauben wir, dass äußere Dinge inneres Glück erzeugen können. Das stimmt aber nicht!
Denn wie der diesjährige Wirtschafts-Nobelpreisträger Angus Deaton sagte: „Ab einem gewissen Reichtumsniveau bringt Geld kein kurzfristiges Glück mehr, die Oberschicht ist auch nicht besser gelaunt als die Mittelschicht.“
(Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Möglichkeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nach guter Nahrung, ausreichender Wohnung, Gesundheit, Bildung und Partizipation an Kultur muss sichergestellt sein! Erst ab diesem Punkt gilt m.E. das eben zitierte „Reichtumsniveau“.)
Ich habe die Macht, mich nicht andauernd von der Gier nach neuen Dingen, nach Gegenständen, die sich andere leisten können – wollen – müssen und dem daraus resultierenden sozialen Neid zerfressen zu lassen.
Jedes Jahr ein neues Handy? Ist das wirklich existentiell? Wem will ich damit imponieren? Was will ich beweisen? Statussymbole gibt es auf der ganzen Welt, sie erfüllen überall denselben Zweck: Anderen durch Materie vorzugaukeln, man wäre etwas Besseres. Wie viele Menschen gehen für diesen Schein über Leichen?
Apropos Leichen: Ich habe die Macht, weil ich mich auch mit beschränktem Budget gut ernähren kann.
Müssen wir unendliche Mengen an billigem Elendfleisch in uns hineinstopfen oder reicht es nicht auch aus, einmal die Woche gutes Fleisch zu kaufen, und dieses –der Würde des Tieres entsprechend – mit Respekt zu verzehren?
Anderen Lebewesen das Kostbarste zu nehmen, was sie besitzen, nämlich ihr eigenes Leben, sollte die absolute Ausnahme bleiben. Gedankenloser Fleischkonsum bringt nicht nur andere, sondern langfristig auch uns und unsere Kinder um. Durch diese Erkenntnis ändere ich mein Konsumverhalten und nutze meine Macht als Verbraucher.
Ich habe die Macht, weil ich selbst koche! Und was koche ich statt Fleisch? Na das, was Millionen anderer Menschen auch als Hauptnahrungsmittel verwenden: Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse. Schmeckt, macht satt und ist gesund. Dafür brauche ich nur das, was ich sowieso schon besitze, Herz + Hirn. Hirn, weil ich kochen können muss und Herz, weil mir die Tiere leidtun müssen.
Das Beispiel Fleisch kann man auch auf Kleidung, Autos, technische Konsumartikel etc. anwenden. Ich habe die Macht, weil ich mir nicht andauernd etwas Neues kaufen muss. Ich gebe mich länger mit dem zufrieden was ich habe, und entschleunige dadurch unsere Crashfahrt durch die Konsumwelt. Leben ist Reichtum, Gesundheit ist Reichtum! Das sind unsere wahren Schätze, ohne die uns alle Materie nichts nützt.
Und: Ist eine Gesellschaft, die sich so viel über Äußerlichkeiten, Konsum und Materie definiert nicht ein trauriger und hohler Abklatsch der wahren Schönheit des Lebens? Ein Zerrspiegel unseres unermesslichen geistigen Reichtums?
Muss z.B. ein Adventskalender nur mit Schoki und Plastik gefüllt sein, oder kann man nicht auch 50 % durch non-materielles ersetzt werden?
„Heute machen wir einen Spaziergang“
„Heute lese ich Euch eine Geschichte vor“
„Heute basteln wir etwas Einfaches“
„Heute spielen wir zusammen ein Spiel“
„Heute besuchen wir Oma“
„Heute gibt es ein Küsschen, weil ich mich so sehr freue, dass es Euch gibt“
„Heute spenden wir etwas für Bedürftige“
Ich bin sicher, dass sich die Kinder an diesen Adventskalender erinnern werden –und ich glaube auch nicht, dass sie ihn „scheiß öko“ finden werden. Denn am Ende unseres Lebens haben wir eigentlich nur unsere Erinnerungen an besondere Momente. Diese wärmen uns die Herzen. Diese geben uns Reichtum und Frieden.
Ich habe die Macht –den Frieden in meinem eigenen Haus beginnen zu lassen!