… lautet der fast schon unverschämte Biographietitel einer ganz und gar nicht unwichtigen Person: Ursel Preuhs.
Geboren 1931 in Hamburg, erlebte sie als kleines Mädchen die Entlassung ihres Vaters als „Staatsfeind“, eine Schulzeit in angstvoller Anspannung vor Bombenabwürfen und Denunziation ihrer „Sozi-Eltern“ bis hin zum Kriegsende und der damit für die Familie Preuhs neu beginnenden demokratischen Freiheit. „Endlich konnte man wieder seine Meinung sagen und sich einmischen!“
Und das hat sie auch, sich eingemischt und engagiert: Über 50 Jahre hat sie politischen Einfluss genommen, um die Lebensbedingungen der Hamburger*innen zu verbessern. Mit großem Erfolg. Dennoch wird sie nicht müde zu betonen: „Ich bin völlig unwichtig!“
Wie oft habe ich diesen Satz während der Monate, in denen wir uns trafen, um die Geschichte ihres Lebens nachzuzeichnen, nur gehört? Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, ist der mehrfach ausgezeichneten Hamburger Politikerin völlig fremd. So sei auch Ihre Mitarbeit an diesem Buch nur aus einem einzigen Beweggrund geschehen:
„Der einzige Grund, weshalb ich an dieser Biographie überhaupt mitwirke ist meine Hoffnung, dass die Menschen niemals vergessen mögen, wie wertvoll Freiheit und Demokratie sind. In einem freien Land zu leben, ist keine Selbstverständlichkeit, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Ich bin nun 88 Jahre alt und es ist mir ein Gräuel zu erleben, dass hier in Deutschland im Jahr 2019 wieder demokratiefeindliche Kräfte erstarken und sich die Gesellschaft in mancherlei Hinsicht zurückzuentwickeln scheint. Nie wieder darf es so etwas Furchtbares wie 1933 geben! In meinem ganzen Leben habe ich mir zu allen Gelegenheiten, ob Geburtstag, Silvester oder Weihnachten immer nur eines gewünscht: Frieden. Nicht Gesundheit, nicht Wohlstand, sondern immer nur Frieden!“
Immer wieder betont sie, dass sie in den Jahren 1949-2017, in denen sie sich politisch und gewerkschaftlich engagierte „nur ein wenig mitgeholfen habe”, die sozialen Lebensumstände zu verbessern. Nur ein wenig mitgeholfen? NUR EIN WENIG MITGEHOLFEN?
Von wegen! Seitdem ich Ursel Preuhs im März 2019 kennengelernt habe, ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht voller Bewunderung an sie dachte, nicht voller Begeisterung von ihr erzähle!
Das Schreiben an ihrer Biographie hat mir die Augen dafür geöffnet, dass der uns alltäglich umgebende Lebensstandard ganz und gar nicht selbstverständlich ist: Demokratie, Meinungsfreiheit, Abenteuerspielplätze, Seniorentreffpunkte, Barrierefreiheit an jedem Bahnhof und in öffentlichen Anlagen, eine buntgefächerte „Kultur von unten“ fernab von Staatsoper und Kunsthalle, Hospize, Kontaktstudium für Senioren, Einzelzimmer im Pflegeheim, der über ganz Hamburg verteilte ambulante Pflegedienst uvm. gehören so selbstverständlich zu unserem Leben in 2020, dass man meinen könnte, diese Errungenschaften wären alle schon immer da gewesen und quasi „aus dem Nichts“ erschienen.
„Ambulanter Pflegedienst? Schon immer dagewesen? Mitnichten!” erinnert mich Frau Preuhs. „Wenn man Glück hatte, kam die Gemeindeschwester und sah nach einem, aber das war dann eine gute Tat der Kirche und kein bestehender Rechtsanspruch. Die ambulanten Pflegedienste wurden erst viel später eingerichtet. Dafür haben wir lange gestritten.” Sie muss es wissen, hat sie doch jahrelang Vollzeit als Oberschwester in der Diabetikerzentrale am Berliner Tor gearbeitet und dort händeringend nach Krankenschwestern gesucht, die ihre Diabetiker zuhause versorgten. Nachmittags um halb vier begann dann ihre zweite Schicht, als Abgeordnete im Kommunalparlament, die oft weit bis nach Mitternacht andauerte. 10 Jahre lang hat sie als erste Frau Hamburgs den Vorsitz der Bezirksversammlung Nord geführt. „In Nord “regiert” jetzt eine Frau“ titelte das Hamburger Abendblatt unmittelbar nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden. Eine Frau an der Spitze? 1973 eine wahre Sensation.
Mit großer Freude habe ich einige wichtige Stationen ihres bewegten Lebens aufgeschrieben und wäre mit Abschluss der Arbeiten an der Biographie am liebsten selbst Politikerin geworden! Die politischen Erfolge und gesellschaftlichen Veränderungen, an denen sie mitwirkte, haben mich beflügelt. Alles schien möglich. „Geht nicht, gibt’s nicht!“ lautete das Motto von Ursel Preuhs, mit dem alles erreichbar schien.
Aber man darf sich nicht täuschen lassen: Liest man die spannende Biographie, verdichten sich die 50 Jahre harter Arbeit und die daraus resultierenden verdienten Erfolge so sehr, als wäre alles in nur einem einzigen Augenblick geschehen, und jede Errungenschaft nur eine lustige Anekdote von zwei Seiten Erzählung gewesen. Dem ist aber keineswegs so!
„In der Politik muss man sehr viel Geduld haben. Fünf Jahre sind nichts! Es hat alleine 20 Jahre gedauert, bis wir den rechtlichen Anspruch auf ein Einzelzimmer im Altersheim unabhängig vom Einkommen durchgesetzt hatten. 20 Jahre! Und wir haben da nicht einen Tag lockergelassen!“
Angesichts dieser Zeitspannen erscheint der Einsatz von Ursel Preuhs und ihren Mitstreiter*innen nur noch außergewöhnlicher. Doch mit Bewunderung alleine sollte es nicht getan sein. „Engagiert euch, es lohnt sich!“ ruft uns Frau Preuhs zu „Demokratie ist so zerbrechlich!“
Diesem Appell ist angesichts der Herausforderungen, mit denen wir uns global aber auch regional konfrontiert sehen, nichts hinzuzufügen. Ich kann mich dem nur anschließen: Nie wieder darf etwas so Furchtbares wie 1933 geschehen. Genauso aufmerksam sollten wir aber auch darauf achten, dass all die anderen mühsam erreichten sozialen Verbesserungen nun nicht wieder schrittweise demontiert werden.
Ich bin völlig unwichtig– Die Biographie der Ursel Preuhs erscheint im April 2020 im medhochzwei-Verlag und kostet 19,90 Euro.
Großer Dank gebührt Ulla und Heinz Lohmann für ihre unermüdliche Mitarbeit an dieser wertvollen Publikation.
Am 11.05.2020 findet im Museum der Arbeit in Anwesenheit von Ursel Preuhs eine Autorenlesung mit anschließender Diskussion statt. Durch den Abend führen Ulla und Heinz Lohmann