Gleichmäßig glitt der Löffel durch die weiße Teigmasse. Im Kreis, im Kreis, im Kreis –drehten sich Eier, Milch , Zucker, Salz und Mehl. Ab und zu entschlüpfte der süßen Masse ein Seufzen –oder war es doch Mimi, die Köchin gewesen, die so traurig auspustete?
Neben der großen Schüssel stand die kleine Kezia und redete ununterbrochen. Ihre vielen aufgeregten Worte bedeckten den Küchentisch, den mächtigen Eisenherd, sie hafteten an den Schüsseln, Töpfen und Pfannen, lagen auf dem Boden, verfingen sich in den Gardinen und glitten unter die Küchenschränke, lagen in den Schubladen, füllten die Vorratsdosen und steckten auf den spitzen Messern und Gabeln.
Die allermeisten Wörter aber klebten an der gleichmäßig rührenden Köchin.
Mimi war morgens die erste, die aufstand und abends die letzte, die zu Bett ging. Niemand im Haus verschwendete auch einen Gedanken an sie. Für die anderen war sie fast wie ein weiterer Küchengegenstand, eine dickbäuchige lebendige Teekanne oder eine mächtige Vorratsdose etwa. Mimis einfaches Kleid war stets dasselbe und immer bedeckt von einer mehlbestäubten, nach Knoblauch, Zwiebeln und Gewürzen riechende, manchmal blutbespritzten Schürze – je nachdem, was es gerade zu Essen gab.
Die Kinder liebten Mimi so selbstverständlich wie sie Weihnachten, Ostern und Geburtstage liebten. Sie gehörte zu ihrem Jahreszyklus, war fester, selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens und niemand fragte danach, wer sie eingeführt und ob man überhaupt ein Recht auf sie hatte. Jedes Mitglied der sehr zahlreichen Familie fühlte dies beruhigende Gewohnheitsrecht auf diese alterslose Frau und es war undenkbar, sie nicht in der Küche oder im Waschraum vorzufinden, beim Bügeln, staubwischen, aufräumen, auf dem Markt einkaufend oder mit hochrotem Kopf vor dem heißen Herd stehend.
Wer auch immer Lust auf unkomplizierte, schweigsame Gesellschaft oder Appetit auf eine Kleinigkeit verspürte, bediente sich dessen in der Küche. Auf Mimi war stets Verlass. In kleinen Schüsseln und Platten waren rund um die Uhr kleine Köstlichkeiten verfügbar –ob nun der Hausherr nachts von seinen wichtigen Geschäften zurückkehrte, oder die Jungs am Nachmittag Heißhunger verspürten, oder Kezia jemanden brauchte , dem sie von ihren Abenteuern berichten konnte- an diesem kleinen, dunklen und heißen Ort schien jeder das zu finden, wonach er suchte.
„Und dann, du hättest mich wirklich sehen sollen“ plapperte Kezia weiter „stand ich ganz alleine auf der Bühne – oh ich sah so hübsch aus! Mein weißes Kleid war ganz glatt und glitzerte im Sonnenschein und Mama und Papa standen in der ersten Reihe. Du hättest sehen sollen, wie stolz Papa auf mich war. Und Mama hat sogar etwas geweint. Aber das habe ich nicht gesehen. Das hat sie mir erst hinterher erzählt, als sie mich in ihren warmen Schal eingewickelt hat, damit ich mich nicht erkälte. Und Papa hat mir hinterher als Belohnung für meinen tollen Tanz ein ganz großes Eis gekauft. Ach wirklich, du hättest mich sehen sollen, Mimi! Schade, dass du nicht dabei warst.“
Kezia schob sich eine Kirsche in den Mund. Etwas von dem roten Saft tropfte auf ihre Brust. Mimi warf einen raschen Blick auf den Fleck –sie würde sich später drum kümmern müssen.
Mimi kannte alle Kleider der Familie –und auch das besagte Ballettkleid hatte sie deutlich vor Augen. In letzter Sekunde hatte sie es von Kezias Mutter zum Waschen und Bügeln bekommen. Es macht dir doch nichts aus, hatte sie entschuldigend gelächelt, als sie ihr das zerknitterte Stück noch spätabends in die Küche brachte. Was hätte Mimi schon darauf antworten sollen? Es musste ja schließlich erledigt werden oder nicht?
„Es soll sogar ein Fotograf dagewesen sein“ lächelte Kezia glücklich zwischen zwei Kirschbäckchen hindurch. „Vielleicht kommen wir sogar in die Zeitung, das wäre doch toll, oder?“
Sie drückte sich kurz an Mimis Schürze, zog sich aber rasch wieder zurück, als sie die Blutspritzer des gestrigen Suppenhuhns sah. Ein letzter Griff in die Kirschen, deren Schicksal es war, in wenigen Minuten im Kuchenteig zu ertrinken und dann war Kezia auch schon wieder aus der Küche verschwunden. Einige Augenblicke hallten ihre fröhlichen Schritte noch zwischen den Vorratsdosen nach, dann wurde es wohltuend still in der Küche. Mimi ließ den müden Arm sinken und blickte auf den Teig:
Ganz am Rand der Bühne stand ein hageres Mädchen in einem braunen, schlichten Kleid mit großen Augen über einem zusammengepressten Mund. Da betraten die Tänzerinnen Hand in Hand die Bühne und ihre schlanken Seidenstrumpffüße trippelten unter raschelnden Tüllkleidern. Ihre Haare waren so unerbittlich fest zusammengesteckt, dass sie ihre kindlichen Gesichter mit sich fortrissen und wunderschöne alterslose Masken übrigließen.
Fast hätte das Mädchen am Bühnenrand ihre Klassenkameradinnen nicht wiedererkannt, so eigenartig anders wirkten sie mit ihren strengen Minen. Nun spielte das Klavier und die Tänzerinnen bewegten sich wie aufgezogene Spielfiguren dazu, wie Glieder einer lebendig gewordenen Puppe verrenkten sie sich in alle Richtungen, und nun –ein Seufzen rann durch das Publikum –tanzten die eingeschnürten Füßchen der Mädchen Spitze und die Beine sahen kleinen, hübsch geschnitzten und lackierten Stöckchen ähnlich, auf denen sich seidene Püppchen schwerelos drehten.
Stolzgeschwellte Brüste von eifrigen Müttern wechselten sich mit gelangweilten Blickten von älteren und jüngeren Brüdern ab. Applaus brandete auf und spülte die weißen Tänzerinnen von der Bühne –die Menge zerstreute sich. Mütter hüllten ihre rotwangigen Töchter in die warmen Tücher und Väter zündeten sich erleichtert ihre Zigaretten an. In allen Mimen spiegelte sich Zufriedenheit wider.
Die einzig schwarzgekleidete Ballettlehrerin empfing Blumen und Glückwünsche und scharte ihre weiß schnatternde Brut um sich. Rote Münder verteilten aufgeregte Küsse auf weiße Wangen. Unauffällig schob sich auch das braungekleidete Mädchen näher. „Ihr könnt stolz auf Euch sein, meine Tänzerinnen!“ rief Madame gerade mit hoher Stimme aus „die harte Arbeit der letzten Monate hat sich wirklich gelohnt. Nun wisst Ihr, warum es wichtig ist, sich immer und immer wieder zur Arbeit zu zwingen, selbst wenn man müde und traurig ist und keine Lust verspürt. Seht selbst, wie weit ihr gekommen seid! Seht wie stolz eure Mütter und Väter auf euch sind!“ Mütter und Väter nickten bekräftigend zu jedem von Madames Worten und die zarten Gesichter der Tänzerinnen glühten vor Stolz rot auf.
Unrettbar versanken die roten Kirschen im hohen, süßen Teig und Mimi, die Köchin, schaute tatenlos zu. Sie lächelte zufrieden, als die Hitze des Ofens die glatte, rote Haut der frischen Früchte aufplatzen ließ und sich allmählich ein köstlicher Geruch in der heißen Küche ausbreitete.